„Wie ich in der Lebenszeichenkarte schrieb, lebe ich, und unser Haus steht noch. Darmstadt ist 99 %
kaputt.
Licht, Gas,
Wasser teilweise keins, werden von der Ortsgruppe verpflegt. Fünf meiner Geschwister die Häuser kaputt,
auch
Tante Emmas
Haus, hoffentlich leben sie noch. Tante Liesel ist nichts passiert. Berti und Möschen total ausgebombt. Es
gibt nur noch
Alarm. Alles in der Siedlung ist geflüchtet. Luft, Kressers, Stegels und Frau Dösch nur bleiben.
Heimstättenweg, Schule,
Pulverhäuserweg, Forstweg: fast alles verbrannt. Würde sagen, komm heim, aber die Kasernen bei uns stehen
noch, gut
möglich, dass sie die noch kaputtwerfen wollen. Rheinstraße ist alles ein Trümmerhaufen, Postamt 2
zerstört,
Bahnhof
teilweise. Habe schon lange keine Post mehr von dir, der letzte Brief war der, in dem du von dem Unwetter
schriebst. Es
soll jetzt ein Postauto kommen und Post abholen. Hoffentlich bringt es bald etwas. Es gab unzählige Tote.
Liebe Margot,
bleibt Gott befohlen gesund, du und das Kind, ich will es auch bleiben. Es grüßt und küsst dich deine
Mama.
/ Onkel
Flor, Jokel, Ernst, Georg Hinz und Hinze Erlenfath alles verloren, Tante Gusti nur Scheiben.
Der Himmel dröhnte, die Erde dröhnte, die Luft im Keller dröhnte. Es kam einem vor, als fielen Berge
herunter. Ich
dachte immer, die nächste Bombe ist für uns. Der Pfarrer sagt, durch den Luftdruck hätten die Orgelpfeifen
getönt. / Bei
uns im Keller haben sie zuerst durch Kartenspielen die Angst verdrängt, später sind sie auf den Knien
gelegen. Und
draußen in den Straßen die Menschen mit den umgehängten Decken sind um ihr Leben gelaufen. Alles ist
verrußt
und
verraucht, es brennt im Hals und in den Augen, die „Sonne kommt nicht durch. Alles kaputt, alle Leitungen
unterbrochen …
alles!
Seit zwei Tagen ist eine ganz andere Luft, eigenartig still und rußig und ohne ein einziges Kind auf der
Straße. Helen
und Helga sind noch nicht gefunden, so viele Tote sind verkohlt, nicht mal ob Mann oder Frau erkennt man.
Onkel Flor hat
schon viele angesehen. Ich hab dir ja schon geschrieben, dass Onkel Flor, Heinrich, Ernst, Jokel und Hinze
Erlenfath
ausgebombt sind. Wir haben nur Schaden an Dach und Fenster, man traut es sich gar nicht zu sagen.
Vielleicht
sind von
deinen Kollegen auch umgekommen, ich sehe niemanden, weil ich kein Rad habe und nicht durch die Stadt
gehen
kann, gibt
auch kein Licht, also keine Sirene, so dass man erfahren könnte, wenn die Flieger zurückkommen, ist kein
Wasser und kein
Gas. Hoffentlich ist’s bald rum. […]“